Feminismus und Maskulinismus umarmen

Ich will diesen Artikel schon lange schreiben, auch um meine eigene Position zu finden. Feminismus und Maskulinismus zu umarmen, ist meine Devise. Zwei Perspektiven, die sich ergänzen und bereichern können. Dieser Eintrag ist meine eigene Geschichte der letzten Jahre. Grob lässt sich sagen, dass ich in den ersten sieben davon mich mit dem Feminismus beschäftigt habe und in den zweiten sieben mit dem Maskulinismus. Und seitdem mit der Synthese. Beschäftigung immer vor allem praktisch, mit Reflexion und auch ein bisschen Theorie.

 

Mein Studium begann 2009. Ich war recht schnell in einem links alternativem Freundeskreis und kam dadurch ganz „natürlich“ mit feministischen Gedanken und Ansätzen in Kontakt. Es wurde grundsätzlich gegendert, mit Pause beim Sprechen und einem Sternchen beim Schreiben für alle, die sich nicht als Mann oder Frau sahen. Ich störte mich daran wenig, persönlich bevorzugte ich bald das generische Femininum beim Schreiben, da ich es schöner fand. Ich lernte kennen, was mit männlichen Privilegien gemeint war und dass sie sich an ganz vielen Stellen zeigen. Nicht nur, dass Männer im Sommer leicht oben ohne herumlaufen können ohne dumm angesprochen zu werden. Sondern vor allem, dass Frauen sich öfter rechtfertigen müssen, was bei Männern gar nicht in Frage gestellt wird: Zum Beispiel Karriere mit Kindern. Begriffe wie „mansplaining“ wurden mir geläufig und ich entwickelte dadurch eine gewisse Sensibilität für männliche Dominanz. In Gruppenkontexten achteten wir auf Redeanteile und nutzten Formate wie den Redekreis, damit alle zu Wort kommen konnten. Auch die, die nicht so laut und initiativ waren, um selbst das Wort zu ergreifen und sich Raum zu verschaffen. Ich studierte auch Soziologie und Politik, las feministische Demokratietheorie und nutzte sie in verschiedenen Studienarbeiten. Ich eignete mir auch ein solches Demokratieverständnis an, da es mir sehr einleuchtete, dass Demokratie nicht nur im Parlament, der öffentlichen Sphäre verhandelt wird sondern eben auch das Private politisch ist. Es ist wichtig, ob Mann und Frau in Beziehung und Familie gleichberechtigt sind. Auch die Art und Weise wie in Schulen und Unternehmen Entscheidungen getroffen werden, ist Demokratierelevant.

Ebenso den Care-Arbeit Diskurs fand ich sehr fruchtbar. Wir achteten in Gruppenkontexten darauf, dass alle Care-Arbeiten wie Kochen, Spülen und Putzen übernahmen. Frauen wurden unterstützt, Holz zu machen, Maschinen zu bedienen oder zu bauen. Damit nicht „automatisch“ Männer „Männeraufgaben“ wie Bauen und Frauen „Frauenaufgaben“ wie Kochen übernahmen und alte Rollenbilder einfach reproduziert wurden. Auf einer öffentlichen Veranstaltung sagte ich mal auf die Frage, was ich werden wolle: „Papa“ Ich hatte eine Ahnung, dass die Emanzipation der Männer über das aktive Übernehmen einer Rolle in Familie laufen müsste. Quasi als Pendant zur weiblichen Emanzipation über die Erwerbsarbeit. Gleichzeitig war ich damals davon weit entfernt, da ich zu dieser Zeit jahrelang keine feste Partnerin hatte. Die ersten Jahre störte mich das wenig, doch irgendwann wunderte ich mich, dass es mir nicht gelang, das zu ändern. Im Kontakt mit Frauen war ich immer sehr achtsam und vorsichtig. Wollte niemanden verletzen oder enttäuschen. Hörte viel zu und versuchte offen und ehrlich mich selbst mitzuteilen.

So lief ich 2016 in meine erste Männlichkeitskrise hinein. Ein Schlüsselmoment war damals als ich mit einem engen Freund einen Text entdeckte: „Der Mann mit der Bohrmaschine“. Er ist nicht politisch korrekt formuliert doch hat einen wahren Kern, der uns beide sofort traf: Wir erkannten uns darin wieder, dass wir die hilfsbereiten Männer waren, die Frauen beim Umzug halfen als die Typen mit der Bohrmaschine, die Frauenversteher, die gut zuhören konnten, wenn Frau Probleme mit ihrem aktuellen oder Ex-Freund hatte und die insgeheim hofften, einmal als neuer Partner zum Zuge zu kommen. Doch Pustekuchen so die Pointe des Textes, die Frau hat deine Qualitäten schon erkannt, du bist der Doofe mit der Bohrmaschine.

Wir machten daraufhin zu zweit ein Ritual, tranken einen Schnaps, kämpften und tanzten am Feuer und rasierten uns die Haare ab, als ein Zeichen, das nun eine neue Phase begonnen hatte. Wir nicht mehr die Freundschaftsnummer spielen würden. Wir haben es relativ konsequent durchgezogen. Nach zwei Jahren hatten wir beide unsere Frauen fürs Leben gefunden und weitere zwei Jahre später beide Familie gegründet und wieder etwas später ein Zuhause für die Familie geschaffen. In dieser Rush Hour des Lebens rückten Fragen von Feminismus und Maskulinismus in den Hintergrund. Partner, Papa, Familienvater war ich geworden. Meine Erwerbsarbeit und Wirkung in die Welt hatte ich eher hinten angestellt. Ich versuchte für Familie und Kinder da zu sein und meine Frau zu unterstützen und nebenbei noch ein bisschen zu arbeiten. In dieser Zeit bemerkte ich schleichend, dass ich etwas für meine Männlichkeit tun sollte. Als ich in meinem feministischen Studienumfeld war, hatte ich dennoch einige Männerfreundschaften und gerade in der Mitmachhaus-Anfangszeit waren wir oft als drei, vier Junggesellen vor Ort, so dass manche Freundinnen es scherzhaft „Männerwunderland“ nannten. Nach einer Szene in einem feministischen Comic, den zu der Zeit viele lasen. Diese Zeiten unter Männern hatten sich eher ergeben, waren nicht bewusst gewählt als exklusive Männerauszeiten doch haben mich stark geprägt, was mir erst rückblickend auffiel als diese Zeit vorbei war. Wir hatten einen sehr herzlichen Umgang miteinander und gleichzeitig waren wir auch ehrlich, konfrontativ und legten gerne den Finger in die Wunde. Spiegelten uns gegenseitig und ermöglichten uns so, zu wachsen. Einmal machten wir einen Typentest zusammen und ich war mit dem Ergebnis unzufrieden, da ich gerne ein anderer Typ gewesen wäre. Doch meine Freunde versicherten mir, das Ergebnis würde gut passen, dass ich wirklich sehr dominant wäre. Selbstbild und Fremdbild klafften auseinander. Ich merkte, dass ich mich jahrelang anders gesehen hatte. Ich nutzte den Impuls dann konstruktiv „discover you inner boss“ nannte ich das und später auch den „boss“ draußen in der Welt. Und ich versuchte die Rolle positiv zu gestalten, als jemand, der andere durch sein Tun unterstützt und nicht negativ dominiert. Ich hatte an mir selbst erlebt, was ich auch vielfach in verschiedenen linken Kreisen sah: Das, was nicht sein darf, gibt es nicht. Es entsteht eine Art Realitätsverleugnung. Dominanter Mann ist schlecht, ich bin gut also bin ich nicht ein dominanter Mann. Macht und Hierarchie sind Tabuthemen. Alles wird im Konsens im Plenum entschieden und es gibt offiziell keine Anführer, schon gar keine männlichen. Durch meine Vorprägung hatte ich mich jahrelang schwer getan, meine Rolle als Tanzgut Gründer anzunehmen und bewusst zu gestalten. Jahrelang habe ich versucht, mich in den Hintergrund zu rücken. In der Außenkommunikation oder auch versucht, vor Ort mich zurückzunehmen. Eher das Gemeinsame betont und weniger das Eigene. Da ich trotzdem sehr konkrete Vorstellungen hatte und diese auch durchgesetzt habe, entstand eine Diskrepanz zwischen offizieller Erzählung und Realität.

Vor zwei drei Jahren habe ich erst angefangen bewusst Männerbücher zu lesen, mir Videos zu Maskulinismus anzuschauen und Männerkreise zu besuchen. Dadurch konnte ich einiges meiner eigenen Geschichte in einem neuen Licht sehen und bekam mehr Begriffe und Konzepte an die Hand, um Zusammenhänge zu erkennen und zu beschreiben, die ich vorher nur nebelig geahnt hatte. Dass es in vielen linken Kreisen einen Schuld- und Scham-Komplex gibt. Ich als Mann mich also erstmal grundsätzlich schuldig fühlen soll für tausende Jahre Patriarchat und Unterdrückung der Frau. Ich mich schämen soll als Mann. Dass dieser Komplex nur bei wenigen ganz stark ausgeprägt und schon gar nicht bewusst ist doch er in die Breite wirkt, dass viele Männer in einem bestimmten Alter und Milieu es suspekt finden, in einen Männerkreis zu gehen. Oder es „nicht brauchen“ weil sie sich gar nicht als Mann sehen. Und wer sich nicht als Mann sieht auch seine männlichen Qualitäten nicht kennen oder entwickeln muss. Dadurch entsteht aus meiner Sicht aber ein Nebel, der es erschwert Dinge klar zu erkennen. Warum bin ich Single? Warum wurde ich wieder verlassen? Warum werde ich depressiv in einer Partnerschaft?

Dass die Ursachen gar nicht als spezifisch männlich erkannt werden, da Männer wie ich jahrelang gar nicht in solchen Begriffen „männlich/weiblich“ denken wollen oder können. Alles erscheint individuell und die Muster werden nicht erkennbar. Als ich über das „Mr Nice Guy“-Phänomen las oder Videos sah, wie man im Dating in die „Friend Zone“ gerät, fand ich das unglaublich hilfreich meine Vergangenheit zu verstehen. Gleichzeitig hatte ich Schwierigkeiten vielen Akteuren in der Männer-Bewegung, da ihnen aus meiner Sicht oftmals eine feministische Perspektive fehlt. Dadurch besteht die Gefahr, dass reaktionäre Männerbilder gestärkt werden. Es ein Zurück zur guten alten Zeit gibt, die eben leider nicht wirklich gut war ;-) Ich wirke lieber an einer emanzipativen Männerbewegung mit, die die Beiträge der Frauenbewegung aufgreift, feministisch bleibt und gleichzeitig dennoch versucht ein eigenes positives Männerbild zu formulieren und zu leben. Die Idee, die eigenen männlichen und weiblichen Anteile zu entdecken und zu entwickeln finde ich dabei überaus reizvoll. In diesem Sinne: Feminismus und Maskulinismus umarmen.

 

 

Buchtipps:

Alice Schwarzer – Lebenswerk

Anne Phillips - Geschlecht und Demokratie

Björn Torsten Leimbach – Männlichkeit leben

David Deida – Der Weg des wahren Mannes

 

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Kommentare: 2
  • #1

    arlett (Sonntag, 30 Juni 2024 19:42)

    Ich kann gut mitgehen, dass es wichtig ist, eigene Dominanz zu erkennen, zu benennen und seinen Frieden damit zu finden. Das ist ein Prozess der mich selbst die letzten Jahre begleitet.
    Die Verbindung Dominanz Geschlecht erschließt sich mir nicht in ihrer Zwangsläufigkeit und ist aus meiner Sicht eher eine weitere Ebene, man kann Dominanz aber auch unabhängig von Geschlecht betrachten. Ich habe mich (als Frau) zum Teil sehr in dem Text wiedergefunden und finde es schade wenn es durch die Fokussierung auf Geschlecht wieder so begrenzt wird.

    Vielleicht ist es einfacher sich als dominant anzunehmen wenn man das mit der eigenen Männlichkeit in Verbindung setzt. Das Thema ist aber so wenig allein männlich wie andere psychische Heilungsprozesse auch.

  • #2

    Philipp (Sonntag, 30 Juni 2024 21:54)

    Danke Dir für deinen Kommentar! Ich hatte öfter mit Freunden Kommunikationsschwierigkeiten, weil sie die Begriffe männlich und weiblich gar nicht mehr benutzen wollen und auch entsprechende Aufladungen komplett ablehnen, ich es für mich aber als sehr hilfreich und erhellend empfinde. Ich gehe davon aus, dass Männer wie Frauen sowohl ihren männlichen als auch weiblichen Pol entwickeln können und uns das zu ganzen Menschen macht. Also aus meiner Sicht wie gesagt wichtig für beide beide Pole zu entwickeln.

    Wie im Lied „Kosmisches Kind“. Ich bin ein Kind des Universums. Ich bin geboren um frei zu sein. Sprache kann uns begrenzen. Sprache kann uns befreien. Geschlecht kann uns begrenzen. Geschlecht kann uns befreien. https://www.youtube.com/watch?v=ygvLO8Ogkrc